Wir folgen dem Elisabethpfad. Genaugenommen führt er von Eisenach nach Marburg und von Köln nach Marburg. Wallfahrten nach Marburg zum Grab der Heiligen Elisabeth fanden in großem Stil bis Ende des 13. Jhds. statt, danach wurden ihre Gebeine im Zuge des Reliquien-Handels in alle Winde zerstreut und ‚die Wunder blieben aus‘.
Im elisabethischen Sinne sind wir also zwischen Marburg und Köln in der falschen Richtung unterwegs. Oder auch nicht, denn der Weg ist auch ein Pilgerpfad der über Köln nach Santiago de Compostela führt. Er gehört zu dem Netz der Jakobspilgerwege, die Europa seit dem 9. Jhd. durchziehen.
Wahrscheinlich waren die Slawen und auch die Germanen die ersten, die mitten in Europa eine Ost-Westverbindung durch unwegsames Gelände schlugen; etwa zwischen den heutigen Städten Breslau, Görlitz, Leipzig, Eisenach, Marburg, Siegen, Köln.
Um die vorletzte Jahrtausendwende wurde der westliche Abschnitt dann von den Römern für Truppen- und Warentransporte genutzt, wovon die häufige Straßenbezeichnung ‚Alte Römerstraße‘ noch heute zeugt. Im Mittelalter nahm die Reisetätigkeit zu, es ging um den lukrativen Warenaustausch zwischen den Messestädten Köln und Leipzig. Aus Angst vor Überfällen bevorzugten die Pilger ebenfalls die stark frequentierten Handelsstraßen mit ihren zahlreichen Herbergen entlang der Strecke und schlossen sich oft und gerne den Händlern an. In Verr erfahren wir, dass 2006 nach dem Erscheinen von Hape Kerkelings Reisebericht über den Jakobsweg ‚Ich bin dann mal weg‘ ein reger Pilgerboom einsetzte, der spätestens mit der Pandemie wieder zum Erliegen kam. Und wir sind ja keine echten Pilger, lehnen dankend ab, wenn wir gefragt werden, ob wir einen Pilgerstempel möchten.
Fangen wir doch damit an, wo wir beim letzten Eintrag geendet haben, bei unseren Wander-Erfahrungen und Erlebnissen.
Gesund essen, geht das? Der bzw. die geneigte Leser:in mag denken, gibt’s denn kein Obst am Feldrain, ja es gibt gelegentlich reife Himbeeren und die keinen leckeren Wildkirschen aber verlassen kann man sich darauf nicht. Oder, nächste Frage, wenn’s denn beim Frühstück kein Obst gibt, warum kauft ihr euch denn keins?
Damit sind wir mitten im Strukturwandel des ländlichen Raumes. In kleineren Dörfern gibt es einfach nichts. Lebensmittelladen, Bäcker, Metzger, Gasthof, sie alle haben in den letzten Jahren geschlossen. Größere Orte verfügen schon mal über einen Suermarkt oder Discounter am Ortsrand. Weit, weit weg vom Elisabethpfad. Und Wandersleute sind nun mal geizig in Bezug auf Umwege, es sei denn, diese führen über moosweiche Waldwege. Letzte Bemerkung zur Ernährung. Natürlich bieten fast alle Gasthöfe und Hotels den großen Salatteller an. Meist besteht er aus Blattsalaten und vorgefertigten Salaten, wie Krautsalat, Bohnensalat, Rote Beete Salat… Haben wir auch schon öfter gegessen. Daran hat sich Georg in einem Dreisterne Hotel in Whiel kolossal den Magen verdorben ☹
Während der beiden nächsten Tage bewegen wir uns deshalb gemächlich. Das etwas abseits des Pilgerweges gelegene Bensberg erreichen wir zu unserer Schonung per Bus. Im idyllischen Hotel Malerwinkel bringt ein weiterer Tag bei Cola, Salzstangen und Traubenzucker den Durchbruch, ebenso dazu beigetragen hat der Kölsche Stallgeruch sowie ein erster Blick vom Rathausturm auf den Kölner Dom.
Wie reagieren die Leute auf uns?
Als Wandernde bekommen wir viel Zuspruch. Durchweg aufmunternde, bewundernde, manchmal auch mitleidende Kommentare und Blicke begegnen uns. Nur zweimal war es anders. Zunächst als wir uns auf dem Weg in eine Ferienwohnung versorgen mussten. Verschwitzt kamen wir beim Back Shop an, legten unsere Rucksäcke ab und wählten aus, als wir auch noch baten unsere Wasserflaschen aufzufüllen, schaute die junge Frau hinter dem Tresen nicht mehr nur skeptisch sondern nahezu ängstlich und hilfesuchend zum gegenüberliegenden Post Shop, ganz so als befürchte sie von Obdachlosen ausgeraubt oder von Terroristen überfallen zu werden. Ebenfalls unschön war ein empört hupender Autofahrer, der uns mit hoher Geschwindigkeit entgegenkam, als wir zwangsläufig den engen Seitenstreifen der Brücke einer vielbefahrenen Bundesstraße begehen mussten.
Was fotografieren wir? Meistens sind es schöne Motive die wir einfangen. Es reicht wenn wir immer wieder in ehemaligen Wäldern an abgestorbenen Fichten, in Einfamilienhausgebieten an kargen Schottergärten, in Dörfern an instinktlosem Baustilmix oder in Kleinstädten an unzähligen leerstehenden Läden vorbeigehen müssen… Zu letzteren lässt sich anmerken, dass bei allem Leerstand es die Apotheken, Optiker, Hörgeräteakustiker und Sanitätshäuser sind, die sich am längsten behaupten. Ist das vielleicht ein Hinweis auf die Altersstruktur, die man hier vorfindet? Aber auch Friseure und Volksbanken haben gute Chancen.
Bensberg ist da eine Ausnahme, der Ort, ca. 20 km vor den Toren Kölns scheint zu florieren. Das liegt wohl am Speckgürtelbonus gepaart mit der Lage im Grünen, sowie einem neuen Schloss, einem alten, dessen architektonisch umstrittener Anbau heute von der technischen Verwaltung genutzt wird und dazu noch einem Tagungshaus des Erzbischoftums Köln. Im Hotel Malerwinkel stoßen wir auf den, während der Wanderung schon oft wahrgenommenen Personalmangel. Viele Hotels und Restaurants waren deswegen geschlossen oder hatten eingeschränkte Öffnungszeiten. Eine andere Möglichkeit der
Personaleinsparung ist der Verzicht der Gäste auf die Zimmerreinigung, manchmal gegen einen Preisnachlass.
Wie kann es sein, dass die Pandemie den Arbeitsmarkt so durcheinander gebracht hat? Wo sind die Arbeitskräfte des Gastro- und Hotelgewerbes abgeblieben, sind jetzt alle Paketbot:innen oder arbeiten im Einzelhandel?
Eines ist klar, ohne all die Mitarbeiter:innen oder Hotel-Betreiber:innen mit Migrationshintergrund befänden wir uns in einer noch größeren Service-Wüste. Wie wäre es denn noch mehr von ihnen willkommen zu heißen und ihnen Arbeit und mehr Lebensqualität zu geben?