Von Marburg nach Dillenburg

Ab Marburg wird das Gelände zunehmend bewegter, Auf- und Anstiege folgen in kurzem Wechsel. Nach ca. 6 km erreichen wir die Dammühle, eine denkmalgeschützte ehemalige Wassermühle, idyllisch in einer sanften Senke gelegen, von Grünland umgeben, findet sie heute großen Anklang als Landgasthof. Im Biergarten erfrischen wir uns bei einer Schorle und freuen uns darauf, Anfang Oktober an diesem schönen Ort bei der Hochzeit von Anke und Tobias dabei zu sein.

Bei hochsommerlichen Temperaturen und zwickenden Füßen bzw. Knien geht es weiter ins Hinterland.
Der Name Hinterland erweckt zunächst einmal ein mitleidig oder ironisches Lächeln. Dabei hat der Begriff Hinterländer so gar nichts mit ‚Hinterwäldnern‘ zu tun, sondern ist die historischer Bezeichnung einer heute nicht mehr existierenden Aufteilung der Region:
Das Hessische „Hinterland“ entstand durch den Erbfolgestreit nach dem Tod Philipps I. des Großmütigen, als 1567 Hessen unter Philipps Söhnen in vier Landgrafschaften aufgeteilt wurde. Das schlauchförmige Gebiet (in etwa dem ehemaligen Landkreise Biedenkopf entsprechend) fiel nach diversen Erbfolgewechseln sowie und erbitterten Streitigkeiten an Hessen-Darmstadt (ab 1806 Großherzogtum Hessen), lag aber gleichzeitig weit ab davon und bekam daher den Namen Hinterland. Berichten aus dieser Zeit zufolge wurden Beamten die sich in Darmstadt durch ‚forsches Handeln‘ und ‚selbstständiges Denken‘ unbeliebt gemacht hatten, ins Hinterland versetzt, die man dort gut gebrauchen konnte.


1887 wurde das Hinterland aus dem Hessischen Staatenbund entlassen. Fortan fühlten sich die Hinterländer als ‚Muss-Preußen‘.
Diese historischen Entwicklungen spielten sich vor der Kulisse einer noch heute lieblichen, kleinteiligen Landschaft mit verstreuten liegenden kleinen Dörfern ab. Eine Augenweide für uns Wandersleute, allerdings mit dem Preis, dass es entlang des Wanderweges kaum Unterkünfte gibt. Ausnahme war ein Zimmer bei den engagierten Betreibern des Campingplatzes ‚Hinterland‘ in Niedereisenhausen.
Zweimal galt es via Bus oder Abholservice die Route zu verlassen und in Gladenbach bzw. Dillenburg zu übernachten.

Genaugenommen gehört Dillenburg schon nicht mehr zum Hinterland sondern zum Dill-Bergland, was sich bereits durch die Veränderung der Landschaft auf der Wegstrecke bemerkbar macht. Die Kleinteiligkeit der Landschaft nimmt ab, großflächige Kahlschläge infolge des Befalls der Fichtenbestände durch den Borkenkäfer greifen Platz.
Dillenburg wurde 1254 erstmals urkundlich erwähnt und war über eine lange Zeitspanne Stammsitz des oranischen Zweiges des Hauses Hessen Nassau, worauf sich die noch heute bestehende Verbindung mit dem Niederländischen Königshaus Oranien. Nachfolgebauten der ersten, im 13. Jhd. Errichteten Burg zieren noch heute die Stadtkrone.

Wirtschaftlichen Aufschwung erlebte die ländliche Region durch die Nutzung der an Lahn, Dill und Sieg gefundenen Eisenerze, deren Bergung inzwischen wieder eingestellt ist. Dillenburg verfügt über eine reizvolle Fachwerkaltstadt, die leider wie in vielen anderen Orten welche wir durchwandert haben, viel Leerstand an Ladenfläche aufweist, zugleich aber auch von einer Initiative zur Rettung der Innenstadt zeugt. Eine Pittoreske ist der ‚Dillenburger Dellerlecker‘. Demnach leckten die stets hungrigen Dillenburger Studenten um die Wende des 19./20. Jahrhunderts in der Marburger Mensa ihre Teller immer blitzsauber.