Der Abendspaziergang führt uns auf die Mathildenhöhe, sie ist im wahrsten Sinne des Wortes der Höhepunkt von Darmstadt. Das verdankt die Stadt dem Kunstsinn des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen. Geleitet vom Kunstinteresse gründete der begüterte Landesherr, Offizier, Advokat und Enkel der Queen Viktoria 1899 die Künstlerkolonie Mathildenhöhe. Mit dem Credo: ‚ Mein Hessenland blühe und mit ihm die Kunst‘, stieg Darmstadt zum internationalen Zentrum der Künste auf. Zwischen 1900 und 1914 schufen internationale Architekten und Entwerfer im Zusammenwirken mit internationalen Firmen ein Gesamtkunstwerk auf der Mathildenhöhe. Die Architektur und Innenausstattung der fünf Villen sowie des Atelier- und Ausstellungsgebäudes, der Außenanlagen und des Hochzeitsturms entstanden aus einem Guss und damit die erste Internationale Bauausstellung (so wurde der Besuch für Pashya/Gerti auch noch zum Revival ihres früheren IBA Lebens).

Südlich von Darmstadt betreten wir den Odenwald, von dem wir durchweg sehr angetan sind. Das bewegte Relief und die abwechslungsreiche Landschaft verströmen das Flair von heiler Welt.

Da ist z.B. das Felsenmeer:
Der Sage nach entstand es bei einem Streit zweier Riesen, die sich mit Felsbrocken bewarfen. Der eine war ‚Felshocker‘, er wohnte auf dem Felsberg, der andere hieß ‚Steinbeißer‘ und hauste auf dem nahegelegenen Hohenstein. Dieser hatte mehr Wurfgeschosse zur Verfügung, mit denen er den ‚Felshocker‘ unter den Gesteinsbrocken bewarf und schließlich begrub. Dort soll man den ‚Felskocker‘ noch manchmal brüllen hören.

Die Geologen haben eine andere Theorie, hier die Kurzform:
Die Felsbrocken, genannt ‚Quarzdiorite‘ entstanden bei der Gesteinsschmelze die durch die Kollision zweier Urkontinente im Erdaltertum vor rund 340 Mio. entstanden und in der Erdkruste in 12 km Tiefe erkalteten. Das darüber liegende Gebirge wurde in der Folgezeit abgetragen, so dass die ehemals tief in der Erdkruste befindlichen Gesteinsbrocken heute an der Oberfläche liegen. Ihre abgerundete Form erhielten sie durch die sogenannte ‚Wollsackverwitterung‘. Vor 50 Mio. Jahren herrschte in dieser Region subtropisches Klima, es kam zu saurem Regen, der die genannte Verwitterung in Gang setzte, als deren Ergebnis nur die rundlichen Gesteinskerne übrig blieben. Kürzlich, in der Kaltzeit, d.h. vor 2,6 Mio. bis 10.000 Jahren kam es durch Frost erneut zu Erdbewegungen. Die Gesteinskerne wurden talwärts abtransportiert und sammelten sich in Rinnen, wo sie heute noch als Felsenmeer anzutreffen sind.

Es ist bekannt, dass bereits die Römer die Granitblöcke als Baumaterial verwendeten, die Säule (Foto) gibt davon ebenfalls Zeugnis wie auch das vorgefundenen Handwerkszeug.

Am Fuße des Felsenmeers bei Lautertal entspringt eine Quelle, die Siegfried-Quelle. Hier soll gemäß der Nibelungensage Hagen von Tronje den edlen Siegfried ermordet haben. Fairerweise ist hinzuzufügen, dass mehrere Quellen im Odenwald dies für sich reklamieren.

Angeregt von der Siegfried-Quelle erfahren wir, dass wir uns mitten im Land der Nibelungen befinden. Die Nibelungenstraße führt von Worms im Westen bis Tauberbischofsheim im Osten durch den Odenwald.

Wir setzen sie auf die Liste potenzieller künftiger Urlaubsziele.

Aber der Odenwald hat auch andere Seiten. Z.B. einen Regentag, Cape an,
Cape aus und dann auch noch drei steile Auf- und Abstiege. Eine einzige
Schinderei. Die Laune sinkt, die Füße sind platt, die Knie rund.
Demgegenüber andere Tage die sich mehr wie einen Sonntagsausflug mit
vielen Aaaa’s und Oooo’s anfühlen als eine Fernwanderung.

Was im Odenwald sonst noch auffällig war:
☆ Im nördlichen Teil kaum Fichten, daher auch nur geringe Schäden durch den Borkenkäfer.
☆ Fast ausschließlich Laubwälder, die Buchen wirken sehr vital und weisen kaum Gelbfärbung auf (im Gegensatz zum Taunus und den Hängen des Lahntals).

☆ Viele artenreiche Streuobstwiesen.

☆ Mirabellen in Hecken und am Wegrand, nicht nur in gelb sondern auch orange, rot und lila

☆ Besondere Spezialität, des Odenwslds: Kochkäseschnitzel

☆ Unglaubliche Blickbeziehungen nach Frankfurt und ins Rheintal, Suchbild anbei

☆ Viel mehr (Reit)Pferde als Kühe auf den Weiden, ein Indikator für die Nähe zu den PferdeliebhaberInnen in Frankfurt, Darmstadt bzw. Rheintal.

☆ Ein Hotel mit angegliederter Bison-Weide. Wir denken es waren Wisente (heimische Wildrinder), aber Bisons vermarkten sich nun mal besser im Sinne der Wildwestromantik. Bis auf 10 m waren wir dran. Doch dann versagte erstmals Georgs Fähigkeit als Flüsterer, mit der er bisher jede Kuh und jedes Pferd an den Zaun gelockt hat. Die Bisons jedenfalls stoben davon, daher nur ein Suchbild.

Vor 50, in Worten fünfzig Jahren hat Pashya/Gerti im Odenwald, (etwa 30 km östlich unsrer Route) einen Teil ihrer Lehre absolviert. Wandern wäre damals undenkbar spießig gewesen; auch für Georg, der zu der Zeit mit seiner Velo-Solex durch Frankreich knatterte. Aber wie schon Udo Jürgens zu singen wusste: ‚Mit 66 Jahren fängt das Leben an….“

Der E 1 führt etwa 10 km östlich an Heidelberg vorbei, das finden wir schade und steigen in Ziegelhausen auf einen Abstecher in den Bus. Heidelberg ist unser erster Halt in Baden- Württemberg, man merkt es an der Sprache und der Speisekarte. Hier gibt’s Saumagen und Maultaschen.

100% warm werden wir mit der Stadt nicht. Da ist die berühmte Reizüberflutung: Vor dem Hotel Baustelle, dahinter Züge; Altstadt und Schloss bildschön, historisch und romantisch, aber ohne Ende bevölkert von US-amerikanischen, chinesischen und sonstigen internationalen Touristen. Und wir zwei, mit Socken in Sandalen (es ist kühl), was aber bei dem bunten Völkergemisch in Turnschuhen und Schlappen nicht weiter auffällt.

Das Schloss, genauer gesagt die Ruine aus Neckartäler Sandstein ist schon sehr, sehr beeindruckend. Und der Blick ins Neckartal sensationell. Seit dem 13. Jahrhundert wurde die Anlage in verschiedenen Epochen von einer einfachen Burg mit mehreren Renaissance Palästen, Befestigungsanlagen und einem Schlosspark ergänzt. Bis zur Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg Ende des 17. Jahrhunderts war das Schloss die Residenz der Kurfürsten von der Pfalz. Seit den Zerstörungen durch die Soldaten Ludwigs des XIV (1689/1693) wurde das Heidelberger Schloss nur teilweise restauriert. Nach einem Blitzeinschlag knapp 100 Jahre später ist die Restaurierung dann ganz aufgegeben worden. Die konservierte Ruine ist das Wahrzeichen der Stadt Heidelberg.

Positiv aufgefallen sind uns die vielen jungen entspannten Leute, die sich für eine der unzähligen Bildungseinrichtungen entschieden haben. Gleiches gilt für die Unmengen Fahrräder am Hauptbahnhof. Heidelberg ist ja auch IBA Stadt, da gibt es bestimmt schon einige innovative Projekte zu sehen, aber unsere Visite ist rein privat (schon wegen der Socken).