Nassau hat uns gut gefallen. Trotz weitgehender Zerstörung der Innenstadt im zweiten Weltkrieg und diversen Leerständen hat der Ort ein gewisses Flair, das liegt sicher am lebhaften Wassersport auf der Lahn, die wir hier voller Freude als veritablen Fluss erleben, während sie nur eine gute Woche vorher an ihrer Quelle noch ein unbedeutendes Rinnsal war.

Ebenso besonders sind die diversen historischen Gebäude (die unterschiedlichen Zweige derer von Nassau und sowieso… haben hier ihre Wurzeln).
In Nassau verabschieden wir uns vom Westerwald und es geht entlang der Lahn nach Laurenburg (Stammsitz des Adelsgeschlechts von Nassau und Oranien, d.h. des niederländischen Herrscherhauses!). Der anspruchsvolle und zugleich kurzweilige Weg führt vorbei an einer Lahn-Schleuse, mehreren Weinbergen und Winzerstuben, dem Kloster Arnstein, einer ehemaligen Abtei der Prämonstratenser. Diese fühlten sich der Urkirche verpflichtet und pflegten daher einen regen Austausch mit dem nahegelegenen Nonnenkloster, das heute eine wildromantische Ruine ist. Belegt sind unterirdische Gewölbe, der Fund von Säuglingsleichen fällt dagegen in den Bereich der Fabeln.


Nach einem weiteren Wandertag verlassen wir unter heftigem Gekraxel das Lahntal und betreten den Untertaunus. Ebenso wie im Westerwald sehen wir Dörfer, in denen zahlreiche Gebäude vernachlässigt bis baufällig sind, insbesondere ehemalige Scheunen und Ställe. Als ‚Unsitte‘ nehmen wir Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit unverputzten Hohlblocksteinen wahr. An den Dorfrändern ballen sich die Neubaugebiete aus dem Baumarktsortiment. Anders als der Westerwald zeichnet sich der Taunus durch ein sehr bewegtes Relief aus. Schweißtreibend geht es ‚als zus noff en nopp‘. Als es am 7. August morgens auch noch in Strömen regnet, sinkt der Motivationspegel ins Minus. Angesichts der Alternative, den Tag im Gelsenkirchener Barock des Hotels zu verbringen, schlagen wir uns bis Idstein durch und verordnen uns 3 volle Tage Pause. Drei Tage ohne Wecker! Das, liebe Annette, ist die Gelegenheit um auf deine und weitere Fragen einzugehen und unseren Alltag zu skizzieren.
☆ Wie läuft ein normaler Wandertag ab?
Der Wecker klingelt eine halbe Stunde bevor es Frühstück gibt. Die Zeit reicht für das morgige Erfrischungsprogramm, denn rasieren und schminken entfallen mangels der dafür notwendigen Utensilien. (Sie mussten zur Gewichtseinsparung zuhause bleiben).
Das Frühstück besteht meist aus rosa Aufschnitt, weichen Käsescheiben, weißen Brötchen und Marmelade. Sternstunden leuchten auf, wenn, was nicht so oft der Fall ist, außerdem Müsli, Obst, Eier, Joghurt, etc. auf dem Tisch stehen.
Bevor wir uns auf den Weg machen schauen wir uns die voraussichtliche Tagesetappe des E1 an. Zur Vorbereitung der Wanderung hat Georg den gesamten Streckenverlauf aus dem Netz herunter geladen und auf unseren Smartphone gespeichert. Wenn wir morgens losgehen, kennen wir den vorgezeichneten Weg (hellblau) und aktivieren die Route die wir tatsächlich laufen als aktuellen GPX Track (rot) und zeichnen ihn auf. Damit können wir immer sehen wo wir gerade sind, ob wir dem E1 folgen oder uns auf eine Abkürzung einlassen.

Nach etwa drei Stunden und ungefähr 10 km (je nach Tagesform und ergatterten Höhenmetern) halten wir Ausschau nach einer Bank und machen unsere große Pause. Da gibt’s dann die beim Frühstück geschmierten Brötchen bzw. Brote und falls ein Lebensmittelgeschäft auf dem Weg lag auch noch frisches Obst. Am Nachmittag geht’s dann etwas langsamer voran. Wie am Vormittag muss zwischendurch fotografiert, Wasser getrunken, Brombeeren oder Maiskolben genascht bzw. über die jeweilige landwirtschaftliche Nutzung debattiert werden (…sind die schwarzen Stängel Saubohnen? Sind die Feldblumen am Vorgewende Teil eines Förderprogramms für Ackerrandstreifen? Das goldgelbe, glänzende Stroh ist leicht als Haferstroh zu erkennen…). Ganz, ganz selten kommen wir durch einen Ort mit Café oder Eisdiele, wenn das der Fall ist, ist ein Zwischenstopp unabdingbar.

Die angepeilte Unterkunft haben wir meist am Abend zuvor gebucht. Das ist immer dann zwingend erforderlich, wenn es weit und breit nur eine Möglichkeit gibt. Nach der Ankunft ist die erste Handlung das Wäsche waschen und dann bereitet es Vergnügen zu duschen, zu relaxen und die Füße zu massieren. Danach folgt die nächste große Freude, das Abendessen, aus Mangel an Alternativen meist im jeweiligen Gasthof.
Daheim achten wir auf eine ausgewogene, fleischarme Ernährung. An den kühlen bzw. anstrengenden Wandertagen ist die Lust auf deftiges Essen unbändig, im Angebot stehen alle Arten von Schnitzeln, Bratkartoffeln und Currywurst. An den heißen Tagen fällt die Wahl auf große Salatteller. Und dazu ein kaltes Bier. Alles in allem sind unsere Ernährungsgewohnheiten wirklich nicht die gesündesten. Das mag der Grund sein, weshalb sich, anders als erhofft die Körpermitten nicht dezimieren sondern eher ausdehnen. Die besten Indikatoren dafür sind die Hosenbünde.
☆ Was steckt in unseren Rucksäcken?
Wenn alle Dinge die mit auf die Reise sollen, auf dem eigenen Rücken, und das über einen Zeitraum von drei Monaten getragen werden müssen, reduziert es sich schnell auf das aller aller Notwendigste. Bei Kleidung ist das:
Pashya/Gerti:
1 lange Hose,
1 Shorts,
1 langes T-Shirt,
2 kurze T-Shirts,
1 Nachtshirt,
1 dünne Fleecejacke,
2 x Unterwäsche,
1 Regencape, 2 Paar Socken,
1 Paar Sandalen,
1 Mütze,
1 Tuch .
Dazu kommt der schlanke Kulturbeutel, Medikamente, Wanderstöcke, Igelball
Georg:
2 Zipp Hosen,
2 kurzärmelige Hemden,
1 Windjacke,
1 Paar Ärmelinge,
1 Nachtzeug,
2× Unterwäsche, 2 Paar Socken,
1 Paar Sandalen,
1 Mütze.
Dazu kommt der Kulturbeutel incl. elektrische Zahnbürste, Kamera, kleines Notebook, Powerbank
Die von daheim bekannten Entscheidungsschwierigkeiten: Was soll ich den heute nur anziehen, entfallen. Und das ist kein Problem. Im Schnitt besitzt jeder Mitteleuropäer 10.000 persönliche Dinge. In Ausnahmesituationen wie der unsrigen wird man sowohl beim Essen, den Pflegeprodukten wie auch bei der Kleidung genügsam, ohne das als großen Mangel bzw. Verzicht zu erleben. Und das ist eine ganz faszinierende Erkenntnis!


☆ Wie klappt die Versorgung?
Das ist ganz einfach. Wir kommen immer wieder durch größere Orte, in denen Vorräte an Sonnenmilch, Batterien, Klingen für den Hornhauthobel etc. aufgefüllt werden. Nach Möglichkeit vermeiden wir es, Teile doppelt dabei zu haben.
☆ Kann das gehen, wochenlang zu zweit ohne Streit?
Eine gute Frage und Anlass für eine kleine Reflexion. Bisher haben wir es sehr gut hinbekommen. Vielleicht ticken wir ähnlich, auf jeden Fall versuchen wir beide (unabgesprochen) auf den/die andere/n einzugehen und uns gegenseitig zu unterstützen. Hilfreich ist auch eine gewisse Arbeitsteilung: Georg ist Chefnavigator, Administrator und Lektor. Pashya/Gerti textet, macht Fotos und verwaltet die Haushaltskasse. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass stundenlanges Laufen Raum und Zeit eröffnet, um sich kontemplativ zu versenken oder die Gedanken ausschweifen zu lassen. Dazu kommt der Spaß, immer wieder miteinander zu flachsen.
Liebe Pashya,
Danke für diese eure Offenbarung. So minimal?? Hast du wirklich keine kleine „Abendgarderobe“, was kleines nettes, keinen Rock und gar keinen Badeanzug dabei??
Nun ja, ich werde an euch denken, wenn ich jetzt für meine kleine Wesertour per Rad packe. Krieg das aber nicht hin, das weiß ich schonkenne ich auch etwas. .
Die geschilderte Genügsamkeit, die kenne ich auch etwas, aber nicht so ausgiebig wie ihr das jetzt erlebt.
Das wird ja ein heimischer Kulturschock werden – aber erst einmal seid ihr ja noch unterwegs. Mir fällt ein, dass ich zuhause immer irritiert war, dass ich ja meine Unterhose abends gar nicht waschen muss. Welch ein Glück, dass ihr auf diese Art und Weise miteinander unterwegs sein könnt! Noch viel wunderbare, besondere Erlebnisse!