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Die Wanderung

Wandertagebuch

Wir wollen von unserer Wanderung berichten und freuen uns über Kommentare von euch

Es ist vollbracht

2022 von Eisenach über Marburg nach Köln Posted on 19.07.2022 13:01

Mit der Deutschen Bahn reisen wir zurück nach Hamburg. Die vierstündige Fahrt bietet Muse um unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad noch einmal Revue passieren zu lassen.

Das sind die Stichworte:

  • Rund 350 km
  • 32 Tage
  • 27 verschiedene Betten
  • 768 Stunden mit kleinen Kabbeleien, aber ohne großen Krach
  • Eine verlorene Mütze (Pashya/Gerti), ein ziemlich kaputter Wanderstiefel (Georg)
  • Temperaturen zwischen 17 und 34 Grad
  • Einige Sätze, die Eingang in unseren Sprachgebrauch gefunden haben:
    • Das reichhaltige Frühstück – großartig angepriesen, entpuppte es sich als Portion wie aus der Puppenküche (Röhrda)
    • Die Griffe sind so schwer – passen Sie auf, dass die Messer nicht vom Tisch fallen (Homberg)
    • Die Croissants sind hier besser als beim Bäcker (Freudenberg)
    • Mein E-Mails lese ich nie – wenn ihr was von mir wollt, müsst ihr anrufen (Denklingen)
  • Die Themen unseres Wandertagebuchs sind Momentaufnahmen, sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Von fast jedem Ort gäbe es noch viel mehr zu erzählen, z.B.:
    • Landgraf Soundso suchte Schloss Spangenberg regelmäßig mit seiner Nebenfrau Gräfin Vonundzu auf…
    • Kristallinisch gefrorener Barock, Beamtenbunker, Aapefelse (Affenfelsen), das sind nur einige der Namen für den umstrittenen, in die alte Burg integrierten Bau des Rathauses von Bensberg (nach Plänen von Gottfried Böhm).
    • Bei den Greifvögeln beherrscht nicht nur der Turmfalke den Rüttelflug sondern z.B. auch der Mäusebussard…
  • Wichtige Reisebegleiter waren unsere Smartphones. Dabei haben wir nur selten telefoniert, dafür aber täglich navigiert, fotografiert, botanisiert, Unterkünfte kontaktiert und uns grob über’s Weltgeschehen informiert.
  • Dieser Blog verdankt sein Entstehen einer eingespielten Arbeitsteilung:

    Georg ist bei Tage der Navigator und auch der Kundschafter wenn es z.B. darum geht, Straßen zu vermeiden oder vielversprechende Pfade zu betreten.

    Pashya Gerti macht die Fotos bzw. Collagen, schreibt die Texte und überlegt sich das Layout. Dann kommt Georg wieder ins Spiel, er ist der Administrator der den Blog erstellt; und das mit minimalistischer Hard- und Softwareausstattung.


14.07. – 18.07.

2022 von Eisenach über Marburg nach Köln Posted on 18.07.2022 10:06

Ich möch ze Fooss noh Kölle jon.

Um die vorletzte Jahrtausendwende wurde der westliche Abschnitt dann von den Römern für Truppen- und Warentransporte genutzt, wovon die häufige Straßenbezeichnung ‚Alte Römerstraße‘ noch heute zeugt. Im Mittelalter nahm die Reisetätigkeit zu, es ging um den lukrativen Warenaustausch zwischen den Messestädten Köln und Leipzig. Aus Angst vor Überfällen bevorzugten die Pilger ebenfalls die stark frequentierten Handelsstraßen mit ihren zahlreichen Herbergen entlang der Strecke.
In Verr erfahren wir, dass 2006 nach dem Erscheinen von Hape Kerkelings Reisebericht über den Jakobsweg ‚Ich bin dann mal weg‘ ein reger Pilgerboom einsetzte, der spätestens mit der Pandemie wieder zum Erliegen kam. Und wir sind ja keine echten Pilger, lehnen dankend ab, wenn wir gefragt werden, ob wir einen Pilgerstempel möchten.

Die letzte Etappe bietet noch einmal alle Arten der Wegebeläge. Am liebsten mögen wir natürlich den weichen Waldboden, leider hatten ihn am seltensten unter den Sohlen. Am unbequemsten sind Asphalt und Grobschotter, das unsicherste Gefühl kommt auf Seitenstreifen neben stark befahrenen Straß auf.
Gelegenheit zum Waldbaden hätte der Königsforst, ein Naherholungsgebiet im Osten Kölns sein können. Der Genuss wurde jedoch durch die A4 getrübt. Auch in mehr als einem Kilometer Entfernung, blieb der Lärm unüberhörbar – ein Vorbote auf das urbane Leben und zugleich Indikator für die Rolle des Autos in unserer Gesellschaft.

Wir haben erlebt, dass das Auto auf dem Land das weitverbreitetste Fortbewegungsmittel ist, es verschafft Freiheit und Flexibilität. Und die ist gerade für junge Menschen wichtig, damit das Landleben attraktiv bleibt. Gleichwohl konnten wir zwei/dreimal von guten Bus- bzw. Ruf-Bus-Verbindungen profitieren, haben gesehen, dass engagierte Initiativen Mitfahrbänke eingerichtet haben, die aber im nebenstehenden Bild wenig Anklang finden.

Eine komfortable Alternative zum motorisierten Individualverkehr für den Alltag und vor allem auf der letzten Meile‘ ist das aber noch lange, lange nicht.
Für eine Mobilitätswende braucht es noch viel, viel stärkere Kraftanstrengungen und Anreize. So tragisch es klingen mag, vielleicht liegt in der heraufziehenden Energiekrise mit den steigenden Benzinpreisen auch eine Chance zur Umsteuerung und vor allem zum Umdenken bei der Politik und den Menschen.

Angekommen in Köln-Deutz, werden wir Zeugen eines fulminanten Sonnenuntergangs hinter Dom und Hohenzollernbrücke und erfreuen uns des munteren Treibens auf den Sitzstufen. So viele Menschen auf einmal haben wir eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen, was ist das für ein schönes Bad in der Menge.

Am Folgetag dann das Finale: Auf der Deutzer Freiheit, dem historischen Handelsweg gelangen wir zur Deutzer Brücke und überqueren den Rhein. Rechtsrheinisch geht es weiter über den Heumarkt, den Altermarkt und den Roncalli Platz zum Dom.
Trotz des touristischen Gewusels spüren wir die Erhabenheit dieses außergewöhnlichen sakralen Bauwerks. Seine Vorgängerbauten lassen sich ins 9. Jahrhundert zurück zu verfolgen. An dieser Stelle würde es zu weit führen, die spannende und wechselvolle Baugeschichte nachzuerzählen, doch nicht vorenthalten werden darf, dass der Dom 1996 von der UNESCO als eines der europäischen Meisterwerke gotischer Architektur eingestuft und zum  Weltkulturerbe erklärt worden ist.

Zu ‚Glamour‘ kam der Dom als am 23. Juli 1164  der damalige Kölner Erzbischof Rainald von Dassel die (mutmaßlichen) Gebeine der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln überführte. Kaiser Friedrich Barbarossa hatte sie ihm für treue Dienste aus seiner Kriegsbeute geschenkt. Fortan war der Kölner Dom ein bedeutsamer Wallfahrtsort. Die Suche nach Spuren Elisabeths von Thüringen wird an einem Glasfenster belohnt, inmitten anderer Heiliger leuchtet sie in den Raum.
Weltliche Reminiszenzen von ihr führen zum Elisabeth von Thüringen Gymnasium, auf dem (Georgs Tochter) Meike ihre Schulzeit verbrachte.

Wir lassen uns treiben, sind überwältigt von der Reizüberflutung der Innenstadt. Samstagnachmittag, Sonne, Nachholbedarf, Fußballfans treffen aufeinander. Unsere Füße fühlen sich in Sandalen seltsam an, nackt und ungeschützt. Georgs Verdauung gibt keine Ruhe, auf dem Speiseplan bleibt alles was schmeckt gestrichen, einschließlich Kölsch. Das schmälert die Freude über ein Treffen mit (Schwägerin) Gaby nicht, die extra aus Neuss gekommen ist. Wir verbringen kurzweilige Stunden in unserem Kölner Lieblingskaffee ‚Funkhaus‘, ganz im Stil der 50-er Jahre.

Besonders schön ist das Wiedersehen mit Meike, (Schwiegersohn) Lars und (Enkelin) Maja. Bei strahlendem Sommerwetter besuchen wir die drei. Es gibt so viel zu erzählen, welche Erlebnisse wir während unserer Wanderung hatten, was sich alles seit dem letzten Besuch in Köln ereignet hat.

Es gibt viel zu erzählen, bei Kaffee und Kuchen und während eines Spaziergangs. Später erklärt uns die selbstbewusste Vierjährige was es mit den Meeresbewohnern Rochen, Seepferdchen, Quallen und vor allem aber mir den Meerjungfrauen auf sich hat.



Der Weg ist das Ziel

2022 von Eisenach über Marburg nach Köln Posted on 13.07.2022 13:12

Wir folgen dem Elisabethpfad. Genaugenommen führt er von Eisenach nach Marburg und von Köln nach Marburg. Wallfahrten nach Marburg zum Grab der Heiligen Elisabeth fanden in großem Stil bis Ende des 13. Jhds. statt, danach wurden ihre Gebeine im Zuge des Reliquien-Handels in alle Winde zerstreut und ‚die Wunder blieben aus‘.

Im elisabethischen Sinne sind wir also zwischen Marburg und Köln in der falschen Richtung unterwegs. Oder auch nicht, denn der Weg ist auch ein Pilgerpfad der über Köln nach Santiago de Compostela führt. Er gehört zu dem Netz der Jakobspilgerwege, die Europa seit dem 9. Jhd. durchziehen.

Wahrscheinlich waren die Slawen und auch die Germanen die ersten, die mitten in Europa eine Ost-Westverbindung durch unwegsames Gelände schlugen; etwa zwischen den heutigen Städten Breslau, Görlitz, Leipzig, Eisenach, Marburg, Siegen, Köln.

Um die vorletzte Jahrtausendwende wurde der westliche Abschnitt dann von den Römern für Truppen- und Warentransporte genutzt, wovon die häufige Straßenbezeichnung ‚Alte Römerstraße‘ noch heute zeugt. Im Mittelalter nahm die Reisetätigkeit zu, es ging um den lukrativen Warenaustausch zwischen den Messestädten Köln und Leipzig. Aus Angst vor Überfällen bevorzugten die Pilger ebenfalls die stark frequentierten Handelsstraßen mit ihren zahlreichen Herbergen entlang der Strecke und schlossen sich oft und gerne den Händlern an.
In Verr erfahren wir, dass 2006 nach dem Erscheinen von Hape Kerkelings Reisebericht über den Jakobsweg ‚Ich bin dann mal weg‘ ein reger Pilgerboom einsetzte, der spätestens mit der Pandemie wieder zum Erliegen kam. Und wir sind ja keine echten Pilger, lehnen dankend ab, wenn wir gefragt werden, ob wir einen Pilgerstempel möchten.



10.07. – 13.07.

2022 von Eisenach über Marburg nach Köln Posted on 13.07.2022 12:30

Von Wiehl bis Bensberg

Fangen wir doch damit an, wo wir beim letzten Eintrag geendet haben, bei unseren Wander-Erfahrungen und Erlebnissen.


Gesund essen, geht das?
Der bzw. die geneigte Leser:in mag denken, gibt’s denn kein Obst am Feldrain, ja es gibt gelegentlich reife Himbeeren und die keinen leckeren Wildkirschen aber verlassen kann man sich darauf nicht.
Oder, nächste Frage, wenn’s denn beim Frühstück kein Obst gibt, warum kauft ihr euch denn keins?

Damit sind wir mitten im Strukturwandel des ländlichen Raumes. In kleineren Dörfern gibt es einfach nichts. Lebensmittelladen, Bäcker, Metzger, Gasthof, sie alle haben in den letzten Jahren geschlossen. Größere Orte verfügen schon mal über einen Suermarkt oder Discounter am Ortsrand. Weit, weit weg vom Elisabethpfad. Und Wandersleute sind nun mal geizig in Bezug auf Umwege, es sei denn, diese führen über moosweiche Waldwege.
Letzte Bemerkung zur Ernährung. Natürlich bieten fast alle Gasthöfe und Hotels den großen Salatteller an. Meist besteht er aus Blattsalaten und vorgefertigten Salaten, wie Krautsalat, Bohnensalat, Rote Beete Salat… Haben wir auch schon öfter gegessen. Daran hat sich Georg in einem Dreisterne Hotel in Whiel kolossal den Magen verdorben ☹

Während der beiden nächsten Tage bewegen wir uns deshalb gemächlich. Das etwas abseits des Pilgerweges gelegene Bensberg erreichen wir zu unserer Schonung per Bus. Im idyllischen Hotel Malerwinkel bringt ein weiterer Tag bei Cola, Salzstangen und Traubenzucker den Durchbruch, ebenso dazu beigetragen hat der Kölsche Stallgeruch sowie ein erster Blick vom Rathausturm auf den Kölner Dom.

Wie reagieren die Leute auf uns?

Als Wandernde bekommen wir viel Zuspruch. Durchweg aufmunternde, bewundernde, manchmal auch mitleidende Kommentare und Blicke begegnen uns.
Nur zweimal war es anders. Zunächst als wir uns auf dem Weg in eine Ferienwohnung versorgen mussten. Verschwitzt kamen wir beim Back Shop an, legten unsere Rucksäcke ab und wählten aus, als wir auch noch baten unsere Wasserflaschen aufzufüllen, schaute die junge Frau hinter dem Tresen nicht mehr nur skeptisch sondern nahezu ängstlich und hilfesuchend zum gegenüberliegenden Post Shop, ganz so als befürchte sie von Obdachlosen ausgeraubt oder von Terroristen überfallen zu werden.
Ebenfalls unschön war ein empört hupender Autofahrer, der uns mit hoher Geschwindigkeit entgegenkam, als wir zwangsläufig den engen Seitenstreifen der Brücke einer vielbefahrenen Bundesstraße begehen mussten.

Was fotografieren wir?
Meistens sind es schöne Motive die wir einfangen. Es reicht wenn wir immer wieder in ehemaligen Wäldern an abgestorbenen Fichten, in Einfamilienhausgebieten an kargen Schottergärten, in Dörfern an instinktlosem Baustilmix oder in Kleinstädten an unzähligen leerstehenden Läden vorbeigehen müssen…
Zu letzteren lässt sich anmerken, dass bei allem Leerstand es die Apotheken, Optiker, Hörgeräteakustiker und Sanitätshäuser sind, die sich am längsten behaupten. Ist das vielleicht ein Hinweis auf die Altersstruktur, die man hier vorfindet? Aber auch Friseure und Volksbanken haben gute Chancen.

Bensberg ist da eine Ausnahme, der Ort, ca. 20 km vor den Toren Kölns scheint zu florieren. Das liegt wohl am Speckgürtelbonus gepaart mit der Lage im Grünen, sowie einem neuen Schloss, einem alten, dessen architektonisch umstrittener Anbau heute von der technischen Verwaltung genutzt wird und dazu noch einem Tagungshaus des Erzbischoftums Köln. Im Hotel Malerwinkel stoßen wir auf den, während der Wanderung schon oft wahrgenommenen Personalmangel. Viele Hotels und Restaurants waren deswegen geschlossen oder hatten eingeschränkte Öffnungszeiten. Eine andere Möglichkeit der

Bensberg

Personaleinsparung ist der Verzicht der Gäste auf die Zimmerreinigung, manchmal gegen einen Preisnachlass.

Wie kann es sein, dass die Pandemie den Arbeitsmarkt so durcheinander gebracht hat? Wo sind die Arbeitskräfte des Gastro- und Hotelgewerbes abgeblieben, sind jetzt alle Paketbot:innen oder arbeiten im Einzelhandel?

Eines ist klar, ohne all die Mitarbeiter:innen oder Hotel-Betreiber:innen mit Migrationshintergrund befänden wir uns in einer noch größeren Service-Wüste. Wie wäre es denn noch mehr von ihnen willkommen zu heißen und ihnen Arbeit und mehr Lebensqualität zu geben?



08.07. – 09.07.2022

2022 von Eisenach über Marburg nach Köln Posted on 09.07.2022 15:58

Von Krottorf nach Wiehl

Die Blütenfarbe pink-violett springt ins Auge. Wir vermuten, dass das nicht nur bei uns so ist sondern, dass pink-violett auch auf viele Insekten anziehend wirkt.


Unsere Vorfahren siedelten in den Tälern, denn hier gab es Wasser. Für uns heißt das, dass es regelmäßig morgens nach dem Verlassen der Unterkunft erst einmal bergauf geht und dann Kilometer für Kilometer weiter auf und nieder, auf und …. und am Nachmittag wieder bergab ins nächste Hotel. Z.B. am Morgen von Krottorf steil bergauf und dann nach Denklingen stetig und kilometerlang: bergauf, bergab.

In Denklingen macht sich der rheinische Einschlag bemerkbar: ‚Wat‘ und ‚Dat‘ hören wir von den Nebentischen im Biergarten, in der Gaststube hängt die Ahnengalerie des Karnevalsvereins. Das Frühstück ist üppig, viel Wurst, ein paar Käsescheibchen und gleich zwei Tüten für unterwegs. Das gibt’s nur manchmal. Meistens belegen wir uns die restlichen Brötchen und verpacken sie in Servietten für den Pausenschmaus.
Gesund und nachhaltig ist diese Ernährungsweise nicht. Wurst von Tieren die vermutlich nicht nach Tierwohlkriterien aufgewachsen sind. Zuviel Weißmehl, zu wenig Obst und Grünzeug. Und abends sind wir oft so ausgepowert, dass etwas herzhaftes auf den Teller muss, mal rustikal mal edel. Egal, die Ernährungs-Docs wären entsetzt.
Bei den Unterkünften haben wir meist keine wirkliche Wahl. Da nehmen das, was mit dem Tagespensum übereinstimmt und an der Wegstrecke liegt. Meist geraten wir an gediegene Hotels. Es fällt auf, dass sich die Übernachtungspreise im Vergleich zu 2019 spürbar erhöht haben.

Informatives am Wegesrand


05.07. – 07.07.2022

2022 von Eisenach über Marburg nach Köln Posted on 07.07.2022 21:17

Von Irmgarteichen nach Krottorf

Die Temperaturen pendeln sich im niedrigen 20 Grad Bereich ein und zugleich schwinden die Blessuren an Knie und Füßen. Besser geht’s kaum. Der 5. Juli hat das Zeug zum Bilderbuch Wandertag: Wir laufen entlang von Waldrändern. Ganze Wälder sind auch hier dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen. Doch der Versuch in den vergangenen Jahrzehnten, die Monokultur der Fichtenforste durch Randbepflanzung mit Laubgehölzen zu kaschieren, vermittelt nun den Eindruck von Waldrand, der totes Gehölz umgrenzt.

Wegbegleitenden Schautafeln entnehmen wir, dass der Feldhase 2m weit springt. Der Weltrekord beim Menschen liegt derzeit bei 8,95m, wird aber noch deutlich vom Rothirsch überboten, der schafft 11m.

Bemerkenswert ist auch, dass das Rotwild die Farben Rot und Grün nicht unterscheiden kann (wie diese Rot-Grün-Blindheit wohl heraus gefunden wurde?).

Besonders ist die Begegnung mit einem Schäfer und seiner Merinoschafherde, incl. dreier Alpakas. Wir kommen ins Gespräch. Nein, sagt er, Wölfe gibt’s hier zum Glück nicht. Er könnte es auch nicht ertragen wenn er am Morgen zur Weide käme und ein oder mehrere Tiere verletzt oder gar gerissen und die übrige Herde verschreckt und für lange Zeit in Panik wäre. Dann würde er sofort aufhören.

In Siegen kreuzen wir unsere Wegstrecke von 2019. Damals pausierten wir, nahmen mit Andrea und Timo einen Imbiss ein und ließen die Wanderschuhe besohlen. Diesmal durchqueren wir die Stadt vom östlichen Rand des Talkessel bis zum westlichen per Bus und treffen am Stadtwald wieder auf den Elisabethpfad.
Wir drosseln unsere Tageskilometer auf ca. 15. Das ist nicht nur knie- und fußschonend, so erreichen wir unseren Zielort bereits nachmittags zur besten Kaffeezeit an und können gemütlich duschen, Wäsche waschen oder einfach relaxen, bevor das Abendessen ansteht.

Freudenberg bietet eine optische Überraschung. Der im 15. Jhd. gegründete historische Stadtkern wurde zweimal durch Brände zerstört und jedes Mal auf dem alten Grundriss als Fachwerk-Ensemble wieder aufgebaut. Noch heute trägt er den Namen „Alter Flecken“ und steht unter Denkmalschutz. Zu Recht.

Auf dem Bild links sieht man von oben auf den historischen Stadtkern. Wir hätten nach der Ankunft im Hotel nochmals auf einen Hügel steigen müssen, um diesen Blick zu haben. Das war nach einem anstrengenden Wandertag nicht mehr drin. Daher ausnahmsweise ein Foto aus dem Netz. Das Ensemble sieht zwar aus wie bei der Märklin Modell-Eisenbahn, ist aber echt.

Hier in Freudenberg lernen wir die Uerdinger Linie oder auch die ik-ich-Linie kennen. Sie stellt eine Übergangslinie zwischen den ik-Mundarten im niederdeutschen sowie niederfränkischen Sprachraum und den ich-Mundarten im hochdeutschen Sprachraum dar, wie sie heute noch in vielen Dialekten wiederzufinden ist. 

Bei Nieselregen steigen wir, von Freudenberg kommend durch einen jungen Buchenwald auf und stoßen vor Hohenhain auf das Bodendenkmal ‚Alte Schanze‘ – eine mächtige Schanzanlage, die noch größtenteils gut erhalten ist. Sie kontrollierte die bedeutende mittelalterliche Landstraße Siegen – Köln (Brüderstraße), die hier die Nassau-Siegener Landhecke durchquerte, und so den Zugang zum Siegerland absicherte.
Die 105 km lange Landhecke war ein gewachsener Schutzwall. Sie bestand aus dicht nebeneinander gepflanzten Hainbuchen, deren Zweige zum Neuaustrieb in den Boden gesteckt und in den Zwischenräumen mit undurchdringlichen Gehölzen, wie etwa der Brombeere ergänzt wurden. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts umschloss die Landhecke für rund 200 Jahre das Siegerland zum Schutz gegen feindliche Überfälle vollständig. So verteidigten die Siegerländer immer wieder ihre Freiheit gegen den Erzbischof von Köln und sein böhmisches Söldnerheer.
Auf die große Weltbühne schaffte es die Landwehr nach 1568, dem Beginn des niederländischen Befreiungskrieges. Der Landesherr Johann der Ältere, Graf von Nassau-Dillenburg, unterstützte seinen Bruder Wilhelm von Oranien im Kampf gegen die Spanier entscheidend. Damit wurde das Siegerland zum Feind der Weltmacht Spanien.
Der weitere Weg nach Krottorf führt zweimal an Hinweistafeln zur Hexenverfolgung vorbei, die im 16. und 17. Jahrhundert in dieser Region weit verbreitet war.



04.07.2022

2022 von Eisenach über Marburg nach Köln Posted on 04.07.2022 19:58

Diethölztal – Irmgarteichen

Endzeitstimmung

Auf den heutigen Streckenabschnitt freuen wir uns besonders. Osmand, unser Navigationsprogramm stellt 90 % des Weges durch Waldgebiete in Aussicht. Die Realität war eine andere. Wir wandern fast ausschließlich zwischen Kahlschlägen umher. Erschütternd. Der Borkenkäfer hat ganze Arbeit geleistet. Wie viele andere Regionen wurde auch das Gebiet des heutigen Naturpark ‚Sauerland Rothaargebirge‘ seit Anfang bzw. Mitte des vorletzten Jahrhunderts konsequent mit der zwar schnellwachsenden aber standortfremden Fichte aufgeforstet. Die seit einigen Jahren, als Folge des Klimawandels abnehmenden Regenmengen schwächen die Fichtenbestände und machen sie dadurch anfällig für den Befall des Borkenkäfers. Das Ergebnis sind flächendeckend abgestorbene Bäume bzw. Kahlschläge die eine Endzeitstimmung verbreiten.

Wir Wandersleute sind nicht nur um das Waldbaden ‚betrogen‘, wir laufen den ganzen Tag auf groben Schotterwegen; normale Waldwege wären den Anforderungen der schweren Forstmaschinen und der Holztransporter nicht gewachsen und so gibt es die wunderbar weich federnden Waldpfade kaum noch. Und natürlich gibt’s auf den kahlen Hängen und Kuppen weder Kühle noch Schatten, die der Wald sonst bietet. Unser Zieldorf Irmgarteichen hat aus der Not eine Tugend gemacht und einen ‚Sonnenweg‘ ausgewiesen.

Wir treffen auf ‚alte Bekannte‘ von unserer Wanderung 2019 auf dem Europawanderweg 1 von Hamburg an den Bodensee: Irmgardeichen ist ein Stadtteil von Netphen. Netphen ist uns aus 2019 in guter Erinnerung. Dort stießen (Schwägerin) Andrea und (Neffe) Timo zu uns und wir wanderten einen Tag zusammen.

Mit dem Erreichen des Naturpark ‚Sauerland Rothaargebirge‘ haben wir Hessen verlassen und Nordrhein-Westfalen erreicht. Das lässt sich auch sehr gut an der Bauweise in den Dörfern ablesen. Zwar treffen wir nach wie vor Fachwerk an, aber Dächer und zum Teil auch Fassaden sind mit Schieferschindeln bedeckt.
In den Tallagen versöhnen uns saftige Weiden und kleinere Wäldchen.

Wir übernachten im Gasthof Ley, und treffen auf die jährliche dreiwöchentliche ‚Schnitzeltour‘. Sie beginnt am 1. Tag der Sommerferien in NRW. Zu den acht dauerhaft auf der Speisekarte vertretenen Schnitzelarten kommen 12 weitere Schnitzelvarianten hinzu, adaptiert an europäische Länder.

Das Schnitzel, welches im Vorjahr am wenigsten nachgefragt wurde (Spanien) fliegt raus, dafür kommt ein neues Länderangebot (Türkei) hinzu. Wir sitzen draußen und beobachten die eintretenden Schnitzelfreunde und -freundinnen aus nah und fern. Der Andrang ist riesig, der Gasthof bis auf den letzten Platz besetzt, in fliegendem Wechsel. Als Hausgäste lassen wir uns dieses Angebot natürlich nicht entgehen und entscheiden uns für ‚Olymp‘ (Griechenland) und ‚Highlander‘ (Schottland).



30.06. – 03.07.2022

2022 von Eisenach über Marburg nach Köln Posted on 03.07.2022 13:47

Von Marburg nach Dillenburg

Ab Marburg wird das Gelände zunehmend bewegter, Auf- und Anstiege folgen in kurzem Wechsel. Nach ca. 6 km erreichen wir die Dammühle, eine denkmalgeschützte ehemalige Wassermühle, idyllisch in einer sanften Senke gelegen, von Grünland umgeben, findet sie heute großen Anklang als Landgasthof. Im Biergarten erfrischen wir uns bei einer Schorle und freuen uns darauf, Anfang Oktober an diesem schönen Ort bei der Hochzeit von Anke und Tobias dabei zu sein.

Bei hochsommerlichen Temperaturen und zwickenden Füßen bzw. Knien geht es weiter ins Hinterland.
Der Name Hinterland erweckt zunächst einmal ein mitleidig oder ironisches Lächeln. Dabei hat der Begriff Hinterländer so gar nichts mit ‚Hinterwäldnern‘ zu tun, sondern ist die historischer Bezeichnung einer heute nicht mehr existierenden Aufteilung der Region:
Das Hessische „Hinterland“ entstand durch den Erbfolgestreit nach dem Tod Philipps I. des Großmütigen, als 1567 Hessen unter Philipps Söhnen in vier Landgrafschaften aufgeteilt wurde. Das schlauchförmige Gebiet (in etwa dem ehemaligen Landkreise Biedenkopf entsprechend)  fiel nach diversen Erbfolgewechseln sowie und erbitterten Streitigkeiten an Hessen-Darmstadt (ab 1806 Großherzogtum Hessen), lag aber gleichzeitig weit ab davon und bekam daher den Namen Hinterland. Berichten aus dieser Zeit zufolge wurden Beamten die sich in Darmstadt durch ‚forsches Handeln‘ und ‚selbstständiges Denken‘ unbeliebt gemacht hatten, ins Hinterland versetzt, die man dort gut gebrauchen konnte.

1887 wurde das Hinterland aus dem Hessischen Staatenbund entlassen. Fortan fühlten sich die Hinterländer als ‚Muss-Preußen‘.
Diese historischen Entwicklungen spielten sich vor der Kulisse einer noch heute lieblichen, kleinteiligen Landschaft mit verstreuten liegenden kleinen Dörfern ab. Eine Augenweide für uns Wandersleute, allerdings mit dem Preis, dass es entlang des Wanderweges kaum Unterkünfte gibt. Ausnahme war ein Zimmer bei den engagierten Betreibern des Campingplatzes ‚Hinterland‘ in Niedereisenhausen.
Zweimal galt es via Bus oder Abholservice die Route zu verlassen und in Gladenbach bzw. Dillenburg zu übernachten.

Genaugenommen gehört Dillenburg schon nicht mehr zum Hinterland sondern zum Dill-Bergland, was sich bereits durch die Veränderung der Landschaft auf der Wegstrecke bemerkbar macht. Die Kleinteiligkeit der Landschaft nimmt ab, großflächige Kahlschläge infolge des Befalls der Fichtenbestände durch den Borkenkäfer greifen Platz.
Dillenburg wurde 1254 erstmals urkundlich erwähnt und war über eine lange Zeitspanne Stammsitz des oranischen Zweiges des Hauses Hessen Nassau, worauf sich die noch heute bestehende Verbindung mit dem Niederländischen Königshaus Oranien. Nachfolgebauten der ersten, im 13. Jhd. Errichteten Burg zieren noch heute die Stadtkrone.

Wirtschaftlichen Aufschwung erlebte die ländliche Region durch die Nutzung der an Lahn, Dill und Sieg gefundenen Eisenerze, deren Bergung inzwischen wieder eingestellt ist. Dillenburg verfügt über eine reizvolle Fachwerkaltstadt, die leider wie in vielen anderen Orten welche wir durchwandert haben, viel Leerstand an Ladenfläche aufweist, zugleich aber auch von einer Initiative zur Rettung der Innenstadt zeugt. Eine Pittoreske ist der ‚Dillenburger Dellerlecker‘. Demnach leckten die stets hungrigen Dillenburger Studenten um die Wende des 19./20. Jahrhunderts in der Marburger Mensa ihre Teller immer blitzsauber.



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